9. Welche Handlungspflichten sind aus der neuen Corona-Arbeitsschutzverordnung für die Arbeitgeber abzuleiten?
a) Allgemeines / Ziel und Anwendbarkeit der Corona-Arbeitsschutzverordnung (ArbSchV)
Durch das am 22.12.2020 erlassene Arbeitsschutzkontrollgesetz (ArbSchG) wurde § 18 Abs. 3 ArbSchG neu eingefügt. Hiernach kann bei epidemischen Lagen von nationaler Tragweite das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ohne Zustimmung des Bundesrates spezielle Rechtsverordnungen nach § 18 Abs.1 ArbSchG für einen befristeten Zeitraum erlassen.
Hiervon hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht, indem es am 20.01.2021 die neue Corona-Arbeitsschutzverordnung (kurz: Corona-ArbSchV) gezeichnet hat. Diese wurde am Freitag, dem 22.01.2021, verkündet und tritt fünf Tage nach deren Verkündung, mithin am 27.01.2021 in Kraft. Die Corona-ArbSchV ist zunächst befristet bis zum 15.03.2021. Sie gilt grundsätzlich für alle Arbeitgeber (einzige Ausnahme in § 2 Abs. 6 Corona-ArbSchV).
Ziel der Corona-ArbSchV ist es gem. § 1 Abs. 1 Corona-ArbSchV, das Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bei der Arbeit zu minimieren und die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu schützen. In § 1 Abs. 2 Corona-ArbSchV wird klargestellt, dass bereits erlassene Arbeitsschutzverordnungen und abweichende Vorschriften der Länder zum Infektionsschutz im Zusammenhang mit der Betreuung von Kindern sowie weitergehende Vorschriften der Länder und die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregeln unberührt bleiben. Diese sind also weiterhin zu beachten.
b) Pflicht zur Überprüfung der Gefährdungsbeurteilungen
Aufgrund der geänderten Faktenlage (Stichwort Virusmutationen) und durch die Vorgaben der Corona-Arbeitsschutzverordnung sind die Arbeitgeber verpflichtet nach §§ 5, 6 ArbSchG die bestehenden Gefährdungsbeurteilungen zu aktualisieren.
Anzumerken ist dabei, dass die bisherigen Regelungen des SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards und der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregelung weiterhin Gültigkeit besitzen und teilweise durch die jetzt vorliegende Corona-ArbSchV verschärft werden.
c) Organisationsmaßnahmen des Arbeitgebers
Bei allen organisatorischen Maßnahmen, die der Arbeitgeber im Zuge der Überprüfung der Gefährdungsbeurteilung vornimmt, hat er sich am „TOP-Prinzip“ zu orientieren. Danach haben technische und organisatorische Maßnahmen Vorrang vor persönlichen.
Deshalb sollen z.B. betriebliche Zusammenkünfte, wie Besprechungen, auf ein absolutes Minimum reduziert werden bzw. durch Informationstechnologien ersetzt werden. Sollte dies nicht möglich sein, sind insbesondere Abtrennungen zu installieren und intensives und fachgerechtes Lüften vorzusehen.
Ab einer Betriebsgröße größer 10 Beschäftigter soll die Kontaktreduktion soweit möglich durch Bildung kleiner fester Arbeitsgruppen erfolgen („working bubble“). Die Kontakte zu außerhalb dieser Gruppe befindlichen anderen Beschäftigten ist auf das notwendigste Maß zu reduzieren. Dadurch wird die Einführung weiterer organisatorischer Maßnahmen erleichtert, etwa die Entzerrung von betrieblichen Abläufen (Arbeitspausen, Vermeidung von Ansammlungen in Gemeinschaftsräumen). Auch soll damit die Möglichkeit zum zeitversetzten Arbeiten ermöglicht werden. Sollten z.B. Schichtfolgen oder Anfangszeiten verändert werden, ist an die Mitbestimmung nach § 87 BetrVG zu denken.
d) Angebotspflicht: Arbeit im Homeoffice
Nach § 2 Abs. 4 Corona-ArbSchV hat der Arbeitgeber den Beschäftigten im Falle von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anzubieten, diese Tätigkeiten in deren Wohnung auszuführen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen. Hierbei handelt es sich um eine arbeitsschutzrechtliche (öffentlich-rechtliche) Verpflichtung des Arbeitgebers. Diese begründet aber keinen Anspruch auf „Homeoffice“ und somit kein subjektives Klagerecht für einzelne Arbeitnehmer. Den Arbeitgeber trifft jedoch eine Prüfpflicht und – sofern keine zwingenden betriebsbedingten Gründe vorliegen – eine Angebotspflicht. Trotz fehlendem Klagerechts besteht für die Beschäftigten i.d.R. auch kein Leistungsverweigerungsrecht zu. Für ein solches müssten die Beschäftigten die Unzumutbarkeit der Erbringung der Arbeitsleistung im Betrieb darlegen. Dafür müssten in der Praxis konkrete Gesundheitsrisiken benannt werden, die der Arbeitgeber nicht durch geeignete Schutzmaßnahme reduziert hat.
Das bedeutet, dass der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern das Homeoffice grundsätzlich anbieten muss, es sei denn, es liegen zwingende betriebsbedingte Gründe vor.
e) Rechtliche Umsetzung „Homeoffice“
Sofern zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Einvernehmen darüber besteht, dass die Tätigkeit von zu Hause aus verrichtet werden kann, empfehlen wir den Abschluss einer befristeten Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag. In dieser sollte eindeutig geregelt werden, dass „Homeoffice“ zum Zweck der Pandemiebekämpfung im Sinne der Corona-ArbSchV befristet bis zum 15.03.2021 vereinbart wird und keine Telearbeit.
f) Zwingende betriebsbedingte Gründe
Aus der Corona-ArbSchV selbst ergibt sich nicht, was unter zwingenden betriebsbedingten Gründen zu verstehen ist. Aufschluss darüber gibt der auf der Homepage vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales veröffentlichte FAQ.
https://www.bmas.de/DE/Corona/Fragen-und-Antworten/Fragen-und-Antworten-ASVO/faq-corona-asvo.html
Klar ist, dass die Angebotspflicht nur bezüglich solcher Mitarbeiter besteht, die im Büro arbeiten oder vergleichbare Tätigkeiten ausüben. Eindeutig nicht erfasst sind beispielsweise Arbeitsplätze in der Produktion, Dienstleistung, Handel oder Logistik.
Bei den Bürotätigkeiten und vergleichbaren Tätigkeiten müssen „belegbaren und nachvollziehbaren betriebstechnischen Gründen“ vorliegen, wenn der Arbeitgeber kein Home-Office Angebot unterbreiten will. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn „ansonsten der übrige Betrieb nur eingeschränkt oder gar nicht aufrechterhalten werden kann“. Dafür müsste die Tätigkeit also eine physische Anwesenheit vor Ort voraussetzen.
Als Beispiele werden genannt: Post muss geöffnet und bearbeitet werden; es müssen physische Akten angelegt werden; Waren müssen vor Ort angenommen oder erfasst werden; Kunden- und Mitarbeiterkontakte sind erforderlich; Materialausgabe; Reparatur- und Wartungsaufgaben (z.B. IT-Service); Hausmeisterdienste und Notdienste zur Aufrechterhaltung des Betriebes; Nichteinhaltung der datenschutzrechtlichen Vorgaben in der privaten Wohnung (z.B. Mitarbeiter, die mit sensiblen Daten arbeiten müssen).
g) Dokumentationspflicht und Kontrollmöglichkeiten durch die Arbeitsschutzbehörden
Arbeitgeber sollten nicht nur im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung, sondern insbesondere alle Entscheidungen darüber, warum für bestimmte Arbeitsplätze kein Home-Office Angebot unterbreitet werden kann, dokumentieren. Wie diese Dokumentation ausgestaltet ist, bleibt letztlich den Arbeitgebern überlassen. Inhaltlich sollte in jedem Fall der Arbeitsplatz bzw. die Tätigkeit kurz beschrieben werden und die zwingenden betriebsbedingten Gründe genannt werden.
Die Corona-ArbSchV enthält selbst keine Ordnungswidrigkeiten-Tatbestände. Allerdings sind die landesrechtlichen Arbeitsschutzbehörden dazu aufgefordert, die Einhaltung der Regelungen der Corona-ArbSchV zu überwachen. Hierzu können die Arbeitsschutzbehörden Auskünfte von Arbeitgebern verlangen sowie die Überlassung von Unterlagen. Das ergibt sich aus § 22 Abs. 1 ArbSchG. Darüber hinaus besteht nach § 22 Abs. 2 ArbSchG ein Besichtigungs- und Einsichtsrecht der Arbeitsschutzbehörden. Sie können ferner nach § 22 Abs. 3 ArbSchG konkrete Anordnungen gegenüber dem Arbeitgeber erlassen, welche dann im äußersten Fall bei Zuwiderhandlungen auch die Untersagung der Tätigkeit im Betrieb beinhalten könnte oder mit einer Geldbuße geahndet werden könnte. Die Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten ergeben sich aus den schon bestehenden Regelungen des ArbSchG.
Zur Vorbereitung auf etwaige Kontrollen durch die Arbeitsschutzbehörden ist es daher ratsam, die oben beschriebene interne Dokumentation durchzuführen und bereit zu halten.
h) Kein Home-Office Zwang
Die Corona-ArbSchV zwingt keinen Arbeitnehmer das vom Arbeitgeber unterbreitete Angebot von Home-Office auch anzunehmen. Der Arbeitgeber kann dies wiederrum auch nicht einseitig vom Arbeitnehmer verlangen bzw. dies einseitig anordnen. Es bedarf stets einer Zustimmung des Arbeitnehmers. Aus der Begründung der Corona-ArbSchV ergibt sich eindeutig, dass für die Beschäftigten keine Verpflichtung zur Annahme und Umsetzung des Angebots besteht.
Auch eine Ablehnung des Angebots durch einzelne Arbeitnehmer sollte der Arbeitgeber dokumentieren, um dies im Falle einer Kontrolle nachweisen zu können.
i) Raumnutzung
Um die Infektionsgefahr in geschlossenen Räumen zu reduzieren, sollen in Räumen, die von mehreren Personen über einen längeren Zeitraum gleichzeitig benutzt werden, mindestens 10 m²/Person bereitgestellt werden.
Kommt es am Arbeitsplatz dazu Tätigkeiten auszuführen, bei denen weder Abstand noch die Flächenanforderung eingehalten werden können, wie z.B. bei Tätigkeiten in der manuellen Montage oder der Produktion (bewegen von schweren Bauteilen mit mehreren Personen), dann hat der Arbeitgeber gleichwertige Infektionsschutzmaßnahmen zu ergreifen. Als Beispiele nennt die Verordnung geeignete Lüftungsmaßnahmen oder Abtrennungen.
j) Maskenbereitstellung
Wenn die räumlichen Voraussetzungen der Corona-Arbeitsschutzverordnung oder der Mindestabstand von 1,5 Metern nicht eingehalten werden können oder die ausgeführte Tätigkeit zu einer Gefährdung durch erhöhten Aerosolausstoß (z.B. beim lauten Sprechen) führt, dann sind durch den Arbeitgeber medizinische Masken (sog. OP-Masken) oder FFP2-Masken bereitzustellen. Diese Masken sind dann auch von den Beschäftigten zu tragen. Die bisherige Mund-Nasen-Bedeckung (sog. Alltagsmaske, Community-Masken) sind wegen der fehlenden Normierung nicht mehr zulässig!
Bei der Zurverfügungstellung der medizinischen Masken oder der FFP2-Masken sind die entsprechenden Kennzeichnungen zu beachten. Eine genaue Auflistung findet sich in der Anlage zur Corona-Arbeitsschutzverordnung.
Gem. § 12 ArbSchG sind die Beschäftigten im An- und Ablegen der Masken zu unterweisen. Wenn FFP2-Masken zum Einsatz kommen sollen, ist diese Unterweisung, so die Verordnungsbegründung, durch eine fachkundige Person durchzuführen.
Beim Einsatz von FFP2-Masken sind auch Tragezeitbegrenzungen zu beachten. Nähere Informationen können der DGUV-Regel 112-190 „Benutzung von Atemschutzgeräten“ entnommen werden. Jedoch können die einzuhaltenden Erholungspausen dadurch reduziert oder gar in Wegfall gebracht werden, wenn während der Arbeitszeit ausreichend Phasen vorhanden sind, die ein Ablegen der Maske ermöglichen. Hier ist jeder Einzelfall gesondert zu prüfen.
k) Befreiung von der Maskenpflicht durch ärztliches Attest
Fraglich ist, wie mit Arbeitnehmern umzugehen ist, die aufgrund ihrer Tätigkeiten und der Corona-ArbSchV eigentlich zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske bzw. einer FFP2-Maske verpflichtet wären, aber über ein ärztliches Attest verfügen, welches sie vom Tragen einer Maske befreit.
Nach einer aktuellen Entscheidung des Arbeitsgerichts Siegburg sind überhaupt nur solche Atteste zu berücksichtigen, die konkrete und nachvollziehbare Angaben dazu enthalten, warum eine Maske nicht getragen werden könne. Der Arbeitgeber sollte daher in jedem Fall überprüfen, ob die Befreiung vom Tragen einer Maske wirklich medizinisch indiziert ist und keine „Blanko-Atteste“ ohne Angabe von Gründen akzeptieren.
Sofern keine Zweifel daran bestehen, dass die Befreiung von der Maskenpflicht tatsächlich medizinisch indiziert ist, hat das regelmäßig zur Folge, dass der Arbeitnehmer nicht auf seinem eigentlichen Arbeitsplatz beschäftigt werden kann. Der Arbeitgeber sollte daher zunächst durch Umorganisation versuchen, den Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz zu beschäftigen, bei dem er gemäß der Corona-ArbSchV nicht zum Tragen einer Maske verpflichtet ist.
Sollte die Zuweisung einer anderen Tätigkeit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht möglich sein, stellt sich die Frage welche konkreten Auswirkungen dies auf die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers hat. Solange keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegt, besteht jedenfalls keine Entgeltfortzahlungspflicht nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Man könnte die Ansicht vertreten, dass die Erbringung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer gemäß § 275 BGB unmöglich geworden ist und daher auch die Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers nach § 326 Abs.1 BGB grundsätzlich entfällt.
Da zu dieser Frage bisher keinerlei Rechtsprechung existiert, kann sie jedoch nicht eindeutig beantwortet werden. Hier wird jeder Einzelfall gesondert überprüft werden müssen. Darüber hinaus sollte jedoch stets vorrangig versucht werden, durch Einbeziehung des betroffenen Arbeitnehmers, eine einvernehmliche Lösung zu finden.